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Alles wird aufgezeichnet - vorübergehend

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      Richard Russells Everything Is Recorded-Projekt hat sich immer durch Zusammenarbeit entwickelt und Genres und Stimmen zu etwas zusammengefügt, das größer ist als die Summe seiner Teile. Mit 'Temporary', dem dritten Album unter diesem Namen, verschiebt Russell den Fokus, tauscht Rhythmus gegen Melodie und präsentiert sein bisher fragilstes, leuchtendstes Werk. 'Temporary' ist eine Meditation über Vergänglichkeit, Trauer und das Leben selbst - ein Album, das sich sowohl zutiefst persönlich als auch universell resonant anfühlt.

      

      Die Tracklist liest sich von Anfang an wie eine Traumbesetzung für jeden Liebhaber genreübergreifender Musik. Die Gästeliste ist atemberaubend: Sampha, Florence Welch, Bill Callahan, Noah Cyrus, Berwyn, Kamasi Washington und viele mehr verleihen diesem weitläufigen und doch intimen Werk ihre Talente. Aber was 'Temporary' so besonders macht, sind nicht nur seine Mitarbeiter - es ist die Art und Weise, wie Russell ihre Stimmen kuratiert und zu einer einzigen, zusammenhängenden Erzählung verwebt.

      Das Album beginnt mit 'October', einer zarten Einleitung, die den Ton für das angibt, was kommen wird. Gesprächsfetzen schweben ein und aus, wie halb geformte Gedanken und kaum erfasste Emotionen. "Alles ist in einem ständigen Fluss", reflektiert Jah, während Sampha uns daran erinnert: "Ich bin eine lebendige Erinnerung an das Universum." Diese Momente fühlen sich zutiefst persönlich und doch universell an und fangen die Flüchtigkeit von Erfahrung und Identität ein.

      In einer der herausragenden Kollaborationen, 'My And Me', erforschen Sampha, Laura Groves und Alabaster DePlume Themen wie Isolation und Selbsttäuschung. "Ich will nicht so einsam sein / Aber ich will meine Homies nicht sehen", gesteht Sampha und legt den inneren Konflikt der Sehnsucht nach Verbindung offen, während sie sich in die Einsamkeit zurückzieht. Die hypnotische, vielschichtige Produktion des Tracks verstärkt nur seine introspektive Anziehungskraft.

      Das Album umfasst auch das Surreale, wie es in 'Porcupine Tattoo' zu sehen ist, einer poetischen Erforschung von Schmerz und Transformation mit Noah Cyrus und Bill Callahan. "I loved the pain once too / Porcupine tattoo", singen sie und beschwören die Vorstellung von emotionalen Narben als Belastung und Abzeichen des Überlebens. Die verträumte, Science-Fiction-angehauchte Bildsprache hebt das Lied über einfachen Herzschmerz hinaus und versetzt es in ein Reich kosmischen Geschichtenerzählens.

      

      'Never Felt Better' mit Florence Welch und Sampha spielt mit Widersprüchen in der Erforschung emotionaler Taubheit. "Ich dachte, ich hätte so viele Schmerzen / habe mich nie besser gefühlt", singen Florence und Sampha und verwischen die Grenze zwischen Leiden und Euphorie. Dieser Track lehnt, ähnlich wie das gesamte Album, einfache Antworten ab - nur tiefere, kompliziertere Reflexionen.

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      'The Summons' ist ein weiteres zutiefst bewegendes Stück, das Trauer und die Gegenwart derer berührt, die gestorben sind. "Mein Vater kam vorbei und sagte:' Ich war dir noch nie so nahe und mehr hier'", erinnert sich Lisa. Der Track fängt das Paradoxon von Abwesenheit und Präsenz ein, ein Thema, das sich durch das gesamte Album zieht.

      Als wir 'Goodbye (Hell of a Ride)' erreichen, hat uns das Album durch einen ganzen Zyklus von Emotionen geführt - Trauer, Staunen, Selbstbeobachtung und letztendlich Akzeptanz. "Goodbye baby goodbye / You know it's been one hell of a ride", singt Nourished By Time und bietet einen Abschied, der sich sowohl schlüssig als auch offen anfühlt. Wie Gil uns im Outro erinnert: "Solange du lebst und solange du weitermachst, werden sie weitermachen.”

      Dieses Album ist ein Beweis für die Kraft des kollektiven Geschichtenerzählens, eine Erinnerung daran, dass wir alle Teil von etwas sind, das größer ist als wir selbst. Es ist nicht nur eine Sammlung von Liedern - es ist ein lebendiges, atmendes Gespräch darüber, was es bedeutet zu existieren, sich zu erinnern und loszulassen.

      Wo früher alles aufgenommen wurde, lehnten sich Projekte stark an Groove und Rhythmus an, 'Temporary' umfasst Raum und Stille. Inspiriert durch das Gedankenexperiment "Was wäre, wenn Volksmusik in den 80ern genauso digital geworden wäre wie Reggae?"kreiert Russell Klanglandschaften, die warm und doch spektral, elektronisch und doch organisch sind. Die Melodien haben Vorrang und leiten den Hörer wie eine sanfte Strömung durch jeden Song.

      Tracks wie 'Swamp Dream # 3' und 'The Meadows' sind zutiefst atmosphärisch, mit komplizierten Instrumentationsschichten, die sich wie ein Zeitlupen-Traum entfalten. In der Zwischenzeit dient 'Goodbye (Hell of a Ride)' mit Nourished By Time als ergreifender Abschluss — eine Elegie an die Vergänglichkeit von Leben und Kunst.

      'Temporary' ist vielleicht eine der sanftesten Aufzeichnungen, die jemals über den Tod gemacht wurden, aber es ist auch eine der lebensbejahendsten. Russells Entscheidung, Melodie dem Rhythmus vorzuziehen, führt zu einem Album, das sich schwerelos und doch tief bewegend anfühlt, wie Sonnenlicht, das durch die Risse einer längst verlorenen Erinnerung filtert. Jeder Mitarbeiter auf dieser Platte klingt wie die beste Version von sich selbst und macht 'Temporary' zu etwas wirklich Besonderem.

      Für langjährige Fans von Everything Is Recorded stellt dieses Album ein kühnes neues Kapitel dar - eines, das frenetische Energie gegen stille Reflexion eintauscht. Und für Neueinsteiger ist 'Temporary' eine atemberaubende Einführung in Richard Russells sich ständig weiterentwickelnde Musikwelt. 

      8/10

      Text: Josh Crowe

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