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Halle – Liebe? … oder so etwas?

Halle – Liebe? … oder so etwas?

      Halle Baileys Debüt beeindruckt durch seine rohe Nacherzählung von Begierde, Herzschmerz, Wochenbettdepressionen, Bemerkungen zur Weiblichkeit und sein Gleichgewicht zwischen programmierten Spielereien und klassischem Songwriting.

      24 · 10 · 2025

      Erste Liebe als zugleich Erlösung und Verwüstung. Dieses uralte Paradoxon durchzieht Halles (von dem Schwestern-Duo Chloe x Halle) erstes Soloalbum. Jahrelang in Arbeit und treffend betitelt ‚love?… or something like it‘, erzählt die 15-Track-Sammlung den sehr öffentlichen Zerbruch von Halles Beziehung zum Vater ihres Kindes und ihre Wochenbettreise, mit zeitgenössischen Anmerkungen zur Weiblichkeit als Waffe und einer Rückeroberung von Handlungsfähigkeit.

      ‚love?… or something like it‘ entfaltet sich weniger wie eine getreue Memoiren-Nacherzählung und mehr wie eine Reihe nuancierter, nicht-linearer Skizzen romantischen Realismus'. Der märchenhafte Symphonie-Charakter des Intros mit üppigen Streichabschnitten, mehrspurigen Harmonien und himmlischer Bildsprache deutet auf ein Erlebnis hin, das hohl oder steril geraten könnte. Doch mit den folgenden Tracks – dem sirupartigen ‚overtime‘ und dem inspirierten Jazz-Rap-Stück ‚know about me‘ mit GloRilla – ist Halle nicht darum bemüht, ihre Realität umzukehren, sondern liefert einen unverzierten Bericht, der von jeder Nuance ihres Erwachsenenlebens geformt ist.

      Halle ist „kein braves Mädchen“, „kein Engel“; sie ist fehlerhaft, fehlbar, hegt widersprüchliche Gefühle und Begierden, die oft gleichzeitig gären und schwelen. Wie Halle betont, hat sie nie angestrebt, als die „Unschuldige“ oder zugänglichere Alternative zu ihrer Schwester positioniert zu werden. Der lässige Groove ‚his type‘ strotzt vor Dreistigkeit und Kühnheit. Indem er das Gleichgewicht zwischen programmierten Spielereien und organischer Instrumentierung hält, benennt er die Illusion des Schutzes, die Halles Partner zu bieten scheint, während sie sich mit einem Fließband lästiger Konkurrenz auseinandersetzt.

      ‚Interlude 2‘, eine rekonstruierte Sprachnachricht, die die Paranoia nachzeichnet, die Halle als verlassene neue Mutter erlebte, ist ein schonungsloser Einblick in eine reale Konfrontation. Die folgenden Songs – meist im Balladenbereich – vermitteln das auf eine Lüge reduzierte Märchen. In ‚back and forth‘ pendeln Halle und ihr Geliebter zwischen Verlangen und Niedergeschlagenheit über schummrige, wiegende Akkorde – die sparsame Produktion erlaubt Halles wohlklingender Stimme, den Mittelpunkt einzunehmen. ‚so i can feel again‘, ein Duett mit Chloe, ist voll retroer Andersweltlichkeit und schimmernder Harmonien und legt die schlafwandlerischen Nachwirkungen einer Trennung offen – ein Hinweis auf die integrierte, eigenwillige Anziehungskraft ihrer gemeinsamen Arbeit.

      Abgesehen von ‚so i can feel again‘ und dem Babyblues-Confessional ‚braveface‘, das mit RAYE mitgeschrieben wurde, fehlt der zweiten Hälfte die Dynamik der Eröffnungssequenz der Songs. Dennoch werden diese Stücke durch Zurückhaltung und Halles wendige Stimme gehoben; fähig, ihren Schmerz durch gutturale, volltönende Ausbrüche oder ein gedämpftes Flüstern zu projizieren. ‚love?… or something like it‘ hat ein klassisches, würdiges Gefühl, das im heutigen überproduzierten und untererfüllten R&B selten geworden ist. Das allein sollte gefeiert werden.

      7/10

      Text: Shahzaib Hussain

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