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Livebericht: Perfume Genius – Astra Kulturhaus, Berlin

Livebericht: Perfume Genius – Astra Kulturhaus, Berlin

      Die Kunst, auseinanderzufallen, und in den Nachwirkungen Schönheit zu finden.

      Angeführt vom ewig jugendlichen Mike Hadreas wirkt eine Perfume Genius-Show eher wie eine Übertragung als ein Konzert. Berlin empfängt einen Künstler in Bewegung — sich windend, ausbrechend, sich mit jedem Beat neu formend, wie ein Herz, das versucht, durch seine eigenen Rippen zu platzen. Jetzt in L.A. ansässig, streift der 44-jährige aus Iowa stammende Musiker mit der Selbstsicherheit von jemandem über die Bühne, der seine Eigenart voll angenommen und zu seiner Sprache gemacht hat. Seine trägen Verrenkungen sind leibhaftig und elektrisierend und lassen erahnen, wie Gefühl aussehen könnte, wenn man ihm körperliche Gestalt verleiht.

      Die Songs seines neuesten Albums „Glory“ führen diese Idee weiter: ein eleganter, weitläufiger Soundtrack für unbequeme Fragen nach Trauer, Angst und Isolation. Er schöpft aus Glam, Gospel und Synth-Pop, ohne sich lange an einem Ort niederzulassen; sein siebtes Album fängt die Qual und die Ekstase queerer Erfahrungen ein, gemildert durch die Narben seiner Vergangenheit. Als einziger schwuler Schüler an seiner Schule erlebte Hadreas während seiner Kindheit brutales Mobbing. Er verließ die Highschool, nachdem er Morddrohungen erhalten hatte, und wurde von einer Gruppe Männer angegriffen, bis er schließlich Trost in der Musik fand. Noch immer von Angst heimgesucht, verwandelt Hadreas das Schreiben über seinen Schmerz in etwas Erlösendes — und heute Abend, die Spannung überwindend, lässt er alles auf der Bühne.

      Der Opener „In A Row“ stellt sofort die Dualität des Abends her, wobei die strahlenden Synths von Hadreas’ Ehemann Alan Wyffels den Hintergrund für die emotional aufgeladenen Vocals seines Partners bilden. Der Track macht sich über dunkle jugendliche Impulse lustig und stellt die Vorstellung infrage, man müsse für seine Kunst leiden, während Becken das Lied in einen frenetischen Höhepunkt peitschen. Ebenfalls von „Glory“ stammend, verstärkt der gezackte Puls von „It’s a Mirror“ die Trauer mit straffen, fuzzigen Gitarren, und die nervöse Eleganz von „No Front Teeth“ baut sich zu einem der schwersten Momente des Sets auf.

      Als Nächstes die Camp-Hymne „Slip Away“ vom 2017er-Album „No Shape“ — ein prunkhaftes Kampflied über das Sich-Befreien, das mit erhobenen Armen und in einem Stuhl verfangen an einem trüben Montag einen gewaltigen Schlag landet. Im Kontrast dazu stellt das zarte „Left For Tomorrow“ das Ableben einer mütterlichen Figur in einem Flickenteppich aus Bass, Snare und Metaphern dar, und zärtliche Klavierfassungen von „Me & Angel“ und Nirvanas „Polly“ sind gedämpfte, meditative Momente, in denen Hadreas’ Stimme im Vordergrund steht.

      Andernorts, aus seinem experimentellen Americana-Album von 2020 „Set My Heart On Fire Immediately“ stammend, liefert „On the Floor“ einen theatralischen Energieschub, bevor das zurückhaltende Sehnen des Set-Highlights „Otherside“ abrupt stoppt — Hadreas beugt sich rückwärts, als wäre er in Zeitlupe aufgehängt. Man hört eine Stecknadel fallen, bevor der Track in einem Ausbruch ekstatischen, schimmernden Lärms wieder einsetzt, eine einzelne Rose gegen ein Bad aus rotem Licht silhouettiert.

      „Queen“, der herausragende Track aus seinem konfrontativen Synth-Pop-Durchbruch „Too Bright“ (2014), schließt die Nacht nachdrücklich ab und taucht den Raum in eine Schau aus Rauch und Ruhm — doch nicht ohne zuvor Solo-Interpretationen von This Mortal Coils „Kangaroo“ und Mazzy Stars „Fade Into You“ gespielt zu haben. Mit einem geflüsterten Akt der Hingabe an die Dream-Pop-Linie, die seinem eigenen Trotz-Anthem vorausgeht, hinterlassen Hadreas und seine Band das Publikum in einem besseren Zustand, als sie es vorfanden. Für die Angst und Furcht, die unsere Generation erstickt, gibt es keine einfache Lösung, aber es tut gut zu wissen, dass da draußen noch jemand ist, der es genauso fühlt.

      Perfume Genius ist ein entwaffnender Künstler, den man vielleicht nie ganz verstehen wird, doch er lädt dazu ein, genauso wild und unordentlich lebendig zu fühlen wie er. Nachdem er den Schmerz seiner Jugend gebändigt hat, schreibt er Musik voller üppiger, herausfordernder Paradoxe und beherrscht die Kunst des Auseinanderfallens. Gegen Ende der Nacht lacht er, sein durchscheinendes Hemd funkelt im Licht und Schweiß. Es ist berauschend, ein wenig absurd und völlig befreiend. Jeden Abend seinen Körper aufs Spiel zu setzen, muss seinen Preis haben, aber für jemanden, der so viel ertragen hat, ist es eine schöne Last queeren Überlebens.

      Setliste

      In a Row

      It’s a Mirror

      No Front Teeth

      Slip Away

      Left for Tomorrow

      Valley

      Me & Angel

      Polly (Nirvana-Cover)

      Clean Heart

      On the Floor

      Otherside

      Describe

      Eye in the Wall

      My Body

      Kangaroo (This Mortal Coil-Cover)

      Fade Into You (Mazzy Star-Cover)

      Queen

      Text: Billy Burrell

      Fotografie: Billie Clarken

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