Musik Nachrichten
Primal Scream’s ‚XTRMNTR‘ bleibt ein Heulen aus ätzender, klanglicher Wut.

Primal Scream’s ‚XTRMNTR‘ bleibt ein Heulen aus ätzender, klanglicher Wut.

      Erschienen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, war Primal Scream’s „XTRMNTR“ weniger ein Album als ein klanglicher Aufstand, eine ungefilterte, lärmende Kriegserklärung, die vermeintlich gegen politische Apathie, unternehmerische Gier und kulturelle Selbstzufriedenheit gerichtet war.

      Doch kurioserweise behauptet Bobby Gillespie, es sei kein politisches Werk, sondern eine Reflexion dessen, wo die Band Ende der 90er stand – namentlich verstrickt in die britische Drogenkultur. Dennoch ist das schwer zu akzeptieren, auch wenn es auf dem Höhepunkt des Neoliberalismus erschien (Blair und Clinton waren am Zenit), eine Vorstellung, die heute selig-naiv wirkt.

      Trotz Gillespies Sichtweise lässt sich „XTRMNTR“ kaum anders lesen als einen Schrei gegen Kontrollsysteme und die kulturelle Betäubung, die deren Gedeihen ermöglicht. Es war zudem prophetisch und erschien etwas mehr als 18 Monate vor dem 11. September und der anschließenden Welle globaler Paranoia.

      Die Entwicklung der Band zur Jahrtausendwende (von „Vanishing Point“ zu „Evil Heat“) war wohl Primal Screams experimentellste Phase, mit „XTRMNTR“ als Zenit. Und was für eine Besetzungsliste; Kevin Shields, Mani, Bernard Sumner und The Chemical Brothers fügten Tiefe und Unberechenbarkeit hinzu und formten einen abrasiven, aber immersiven Sound.

      —

      

      —

      „Kill All Hippies“ beginnt mit einem abgeschnittenen Sample aus dem Film Out of the Blue (der Titel selbst ist ein Zitat) und setzt die Tonalität für die dystopische Spannung. Gillespies Falsett wirkt weniger gesungen als durch eine elektronische Schraubzwinge gepresst, dabei verzerrt und verhext. Die folgende unablässige Schichtung klanglicher Texturen schimmert, brodelt und droht fast unter dem Gewicht des bedrohlichen, provokativen elektronischen Marsches zusammenzubrechen.

      Es eskaliert auf „Accelerator“, einem von Feedback durchsetzten Ausbruch von Garage-Rock des 21. Jahrhunderts. Gillespie tauscht das Falsett sofort gegen volles, kehliges Geschrei und stemmt sich gegen das Geklapper. Dieses Geklapper liefert Kevin Shields von My Bloody Valentine, der charakteristisch alles ins Rote dreht und einen Tornado aus Klängen kondensiert.

      Der quasi-Titeltrack „Exterminator“ hämmert mit einem industriellen Beat, einem unablässigen Marschrhythmus, über den Gillespie über „bürgerlichen Ungehorsam“ knurrt. Gerade als der Track droht, den Hörer plattzuwalzen, lindert eine unerwartete Tonartwechsel den Druck.

      Während Vertrautheit seine Wirkung etwas gemildert haben mag, bleibt „Swastika Eyes“ ein herausragendes Stück Musik: eine frantic, schleifenartige Electro-Rock-Rakete, gezielt auf Überwachungskultur und Autoritarismus gerichtet. The Chemical Brothers’ Remix des Stücks, der später erscheint, ist allerdings weiter und ebenfalls großartig, seine Aufnahme ins Album aber einer der wenigen Fehltritte.

      „Pills“ mit seiner üblen Arrangierung und albtraumhaften Produktion verstärkt die dystopische Atmosphäre des Albums noch, während Gillespie Zeilen herauswürgt wie ein Mann im Fiebertraum. Der Einfluss von Dan the Automator, noch vor Gorillaz, formt den Track zu einem gotischen, industriellen Hip-Hop-Hybrid, der wirklich unangenehm wirkt — was wohl genau so beabsichtigt war.

      —

      

      —

      Trotz der Intensität gibt es flüchtige Momente der Ruhe. „Keep Your Dreams“ schwebt mit schwummerigen Synths und sanften Vocals herein, ein Stück, das deplatziert wirkt, aber inmitten des Chaos willkommen ist – diese Art von neblig-ätherischem Song, mit dem Primal Scream ihre Karriere durchzogen haben.

      „MBV Arkestra (If They Move Kill ‘Em)“ ist ein Kaleidoskop aus geschichteten Drums, Bläsern und Wüstensturm-Gitarren – wie ein Psych-Rock-Soundtrack für den intensivsten Apokalypsenfilm. Es kratzt an unerträglicher Lautstärke und Tonhöhe, während „Shoot Speed/Kill Light“ (mit Bernard Sumner in Kettensägen-Form) das Ganze auf einer seltsam erhebenden Note beendet; Manis Basslinie summt beruhigend.

      Letztlich ist „XTRMNTR“ Primal Scream in ihrem wildesten und visionärsten Zustand. Es ist ein Album, das auf der Spannung zwischen Melodie und Dissonanz beziehungsweise zwischen Chaos und Kontrolle baut. Wo frühere Arbeiten wie „Screamadelica“ in psychedelischer Euphorie schwebten, trifft „XTRMNTR“ wie eine Rohrbombe ins Gesicht der kapitalistischen Malaise. Anders als Radiohead, die auf „Kid A“ verstörende millennialische Introspektion bevorzugten, taten Primal Scream, was sie am besten können: wüteten gegen das System.

      Viertel Jahrhundert später ist seine Innovation vielleicht etwas abgekühlt, da die Verschmelzung von Rock und Electronica sich beinahe selbst zur Parodie macht. Als letzte Veröffentlichung bei Creation Records war es ein passender Abschied für das ikonische Label. Im Januar 2000 fühlte es sich wie die Zukunft an – und das tut es noch immer.

      —

      

      —

      Primal Scream werden beim „Gig For Gaza“ – organisiert von Paul Weller – am 17. Oktober im Troxy in London spielen; Tickets können hier erworben werden.

      Text: Richard Bowes

Primal Scream’s ‚XTRMNTR‘ bleibt ein Heulen aus ätzender, klanglicher Wut.

Andere Artikel

Adam Buxton kanalisiert seinen inneren David Byrne im verrückten Video „Doing It Wrong“.

Adam Buxton kanalisiert seinen inneren David Byrne im verrückten Video „Doing It Wrong“.

Der Komiker arbeitete mit Joe Mount von Metronomy zusammen, um sein Debütalbum „Buckle Up“ aufzunehmen.

Deftones veröffentlichen die zweite 'Private Music'-Vorschau 'milk of the madonna'

Deftones veröffentlichen die zweite 'Private Music'-Vorschau 'milk of the madonna'

Ihr zehntes Album ‚private music‘ erscheint Ende des Monats.

Kofi Stone veröffentlicht Doppelsingle „Heartlands“ und „Thorns“.

Kofi Stone veröffentlicht Doppelsingle „Heartlands“ und „Thorns“.

Der in Birmingham ansässige Rapper Kofi Stone leitet eine neue Ära mit zwei Singles ein: „Heartlands“ und „Thorns“ mit Jacob Banks. Die Veröffentlichung markiert den

Bryson Tiller enthüllt neues Album „The Vices“.

Bryson Tiller enthüllt neues Album „The Vices“.

Bryson Tiller hat „The Vices“, die erste Hälfte seines kommenden Doppelalbums „Solace & The Vices“, veröffentlicht. Das jetzt erschienene Projekt markiert ein neues Kapitel.

bacci pouch veröffentlichen neue EP „Pouch Core“

bacci pouch veröffentlichen neue EP „Pouch Core“

Das aufstrebende Trio bacci pouch hat die neue EP 'Pouch Core' veröffentlicht. Die Band hat sich an der Südküste einen Namen gemacht, indem sie eine Reihe großartiger,

CATTY kehrt mit der neuen Single „Prized Possession“ zurück.

CATTY kehrt mit der neuen Single „Prized Possession“ zurück.

Die walisische Pop-Durchbruchskünstlerin CATTY hat gerade ihre neue Single 'Prized Possession' veröffentlicht – ein donnernder, blutbefleckter Liebesappell, der sich anfühlt, als stamme er direkt aus den Seiten eines

Primal Scream’s ‚XTRMNTR‘ bleibt ein Heulen aus ätzender, klanglicher Wut.

Zum Anbruch des 21. Jahrhunderts veröffentlicht, war Primal Screams 'XTRMNTR' weniger ein Album als ein klanglicher Aufstand, eine viszerale, lärmende Kriegserklärung, vermeintlich.