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Auf der Suche nach dem Bittersüßen aus einer multikulturellen Perspektive: Winter schreibt für Clash

Auf der Suche nach dem Bittersüßen aus einer multikulturellen Perspektive: Winter schreibt für Clash

      Dream Pop ist einer jener offenen, höchst wirkungsmächtigen musikalischen Begriffe, der im Grunde alles sein kann, was man sich nur wünscht. Von Wegbereitern wie Cocteau Twins bis hin zu Newcomern wie Wisp bietet er Klangschleier, Klangeffekte, die über das Greifbare hinausgehen und das Unterbewusste sowie das Ätherische berühren.

      Samira Winter alias Winter ist Teil einer neuen Welle von Künstlerinnen, die die Normen des Dream Pop auflösen, um darin neuen Raum zu finden. Auf dem kommenden Album 'Adult Romantix' – das am 22. August erscheint – erschafft die Brasilianisch‑Amerikanerin eine „neue Dream‑Pop‑Sprache“.

      Klanglich betörend ist Winter auch eine fesselnde Liedtexterin – ihr arabisch‑brasilianischer Großvater war Dichter, was ihr Schreiben beeinflusste und stark von ‚saudade‘ (Sehnsucht) durchdrungen ist. Musikalisch pendelt Winter zwischen Sonic Youths wegweisendem 'Rather Ripped', Elliott Smiths emotional erschütterndem 'Either/Or' und dem Shoegaze Kaliforniens der 2010er‑Jahre.

      Für Clash ergründet Winter ihre Arbeitsweise und den Prozess, innerhalb des Dream‑Pop‑Panoramas einen eigenen Raum zu finden.

      Ich erlebe Musik in gewisser Weise synästhetisch — Farbenvisionen beim Hören, kleine Filme, die in meinem Kopf ablaufen, der Geschmack einer Erinnerung, das Hören eines Gemäldes. Es ist diese flüchtige Qualität, vielleicht geprägt davon, in einer multikulturellen Umgebung aufzuwachsen, die diese spezielle Linse gefärbt hat, durch die ich die Welt erlebe und wiederum Musik erschaffe.

      Ich bin in einem Haus voller Live‑Musik aufgewachsen: Beide Eltern spielten Gitarre und wir alle sangen als Familientradition zusammen. Meine Mutter, die eher in einem Bossa‑Nova/MPB (Música Popular Brasileira)‑Stil auf einer Nylonsaitenakustik spielt, ist Brasilianerin. Sie wuchs mit einer Mischung aus arabischer und brasilianischer Kultur auf, die zugleich lebhaft und sentimental war; ihre Großeltern waren aus Syrien, dem Libanon und Italien ausgewandert. Mein Vater hingegen ist im Herzen ein Punkrocker – er steht mehr auf Powerchords auf einer lärmenden E‑Gitarre. Er kommt aus Tulsa und war Mitte der 80er in einer Punkband, die bei Radiosendern spielte und in Punk‑Zines auftauchte. Als sie anfingen, ihr Leben zusammen zu planen, trafen meine Eltern die Vereinbarung, mir immer in ihren Muttersprachen zu sprechen, egal wo wir lebten. So bin ich mit eng verflochtenem Englisch und Portugiesisch aufgewachsen.

      Als Kind fühlte ich mich eher als Weltbürgerin denn als Bewohnerin eines bestimmten Landes. Das lag vielleicht daran, dass ich viel umgezogen bin – zwischen den USA, Brasilien, Mexiko und dem Besuch internationaler Schulen. In Bewegung zu sein, zu reisen oder auf Tour zu sein, fühlt sich für mich sehr natürlich an. Andererseits gab es auch Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, zu keinem Ort wirklich zu gehören: in Brasilien zu amerikanisch und in den USA nicht amerikanisch genug zu sein. Mit dem Älterwerden lerne ich, diese Vielheit als etwas anzunehmen, das grundlegend zu mir gehört.

      Bevor ich Musikerin wurde, war ich Tänzerin. Mit acht Jahren begann ich, Klavier zu lernen, mit zwölf die Gitarre. Ich war so von der Gitarre fasziniert, dass ich das Tanzen komplett aufgab und mit zwölf anfing, eigene Lieder zu schreiben, als wären sie Tagebucheinträge. Das erste Lied, das ich lernte zu spielen, war 'Leaving On A Jet Plane', das meine frühe Liebe zu diesen offen klingenden Akkorden in erster Lage und zu zuckersüßen Melodien weckte. Danach nahm ich nach der Schule Unterricht bei einem brasilianischen Gitarrenlehrer. Dort verliebte ich mich in Bossa‑Nova‑artige Akkorde: Dur‑ und Moll‑Septimen, None, halbvermindert. Außerdem brachte ich amerikanische Indie‑Songs ein, die ich damals hörte, wie Rilo Kiley, Death Cab For Cutie und Elliott Smith. Eine Farbpalette verdichtete sich durch dieses Zusammenspiel.

      Einer meiner Lieblingsfilme aus Amerika, als ich aufwuchs, war '10 Things I Hate About You'. Die Figur der Kat Stratford war meine Heldin — ich schwelgte in ihrer feministischen Haltung und übernahm ihren Traum, eine Band zu haben. Die Szene, in der sie eine Stratocaster ausprobiert, die Augen schließt, während sie im Musikladen spielt, oder als sie Letters to Cleo bei einem Rockkonzert sieht — das verzauberte mich völlig. Als ich das erste Mal eine E‑Gitarre und ein Verzerrerpedal anschloss, hatte ich meine eigene Katharsis. Ich kann genau den Moment zurückverfolgen, als ich den Ton anschlug — es fühlte sich so befreiend an, geküsst von der Wärme der Sättigung, wie ein Flug durch einen sternenklaren Himmel, mit Funken, die hinter mir zündeten, und einer Dichte, die meine ganze Teenager‑Angst sublimierte. Seit meinem 16. Geburtstag schloss ich die Augen, blies die Kerzen aus und wünschte mir eine Band.

      Stimmlich wurde ich stark von Rita Lee und Gal Costa beeinflusst. Ich nenne das gern „smile singing“, was für mich eine sehr brasilianische Art ist, sich auszudrücken, da diese Kultur eine große Fähigkeit zum Genuss besitzt. Dieser Stil fühlte sich sehr natürlich an, und als ich im Laufe der Jahre mit meiner Stimme experimentierte, stellte ich fest, dass meine Stimmfarbe am besten klingt, wenn ich sanfter singe. Später, als ich Shoegaze entdeckte und all diese ätherischen, flüsternden Melodien hörte, sprach mich das sehr an. Ich ergab mich voll einer Sinneshaltung und einer melodischen Sprache, die durch mich zu fließen begann.

      Die Entdeckung von Shoegaze und Dream Pop veränderte mein Leben. Erst als ich in meinen frühen 20ern in Boston lebte, entdeckte ich diese Genres sowie Twee und Slowcore. My Bloody Valentine, Cocteau Twins, Galaxie 500, Pavement und Yo La Tengo waren Bands, die meinen anfänglichen Funken und meine Vision für Winter katapultierten, ebenso wie die lokalen Bostoner Bands, die ich bei Hauskonzerten und in kleinen Clubs erleben konnte. Dieses sprudelnde Gefühl trieb mich dazu, „die traumhafteste Musik“ zu machen — das Potenzial, einen Ozean zu malen und in ein tiefes Meer ekstatischer Wonne zu tauchen.

      Früh schrieb ich ein Shoegaze‑Lied auf Portugiesisch namens 'Memória Colorida', was 'Bunte Erinnerung' bedeutet, und verband diese Bossa‑Nova‑Akkorde mit einer üppigen Soundwand und luftigen Melodien. Welche Farben tauchen in deinen Erinnerungen auf, in deinen Träumen, in diesen glitzernden Emotionen deiner Innenwelt? Das Lied ruft dieses Gefühl hervor, das mein Großvater mir so gut zeigte — eine von saudades. Ein Wort, das sich nicht direkt ins Englische übersetzen lässt: ein tiefes Gefühl der Sehnsucht, Nostalgie, das Vermissen von etwas oder jemandem, aber auf eine kostbare Art. Er war ein syrisch‑brasilianischer Dichter, der von der schönen Melancholie des Lebens tief inspiriert war. Er trug ‚saudades‘ in seinen Adern, denn er sehnte sich nach seinen Verwandten in Syrien und vermisste dann meine Mutter und mich jedes Mal, wenn wir das Land verließen, um zu unserem Zuhause im Ausland zurückzukehren.

      Wer sagt, dass Weinen hässlich sei, weiß nicht, was er sagt. Weinen ist das einzige Mittel, das uns manchmal glücklich macht.

      Es ist das gebrochene Licht einer Diskokugel, das durch den Raum schwingt, der wellenförmige Ton und die abklingende Lautstärke, wenn ein Auto vorbeifährt, die schimmernden Reflexe, die auf der Oberfläche eines Pools tanzen — der Versuch, das bittersüße, das allzu Flüchtige, das Schöne und das Traurige einzufangen, ist der Nordstern, der Winters Weg erleuchtet.

      Winter wird das neue Album 'Adult Romantix' am 22. August veröffentlichen.

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