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Die göttliche Komödie – Regnerischer Sonntagnachmittag

Die göttliche Komödie – Regnerischer Sonntagnachmittag

      Ein melancholischeres Werk, wenn Barockpop auf das mittlere Alter trifft...

      16 · 09 · 2025

      Es gibt einen Moment in „All The Pretty Lights“, dem bezaubernden Herzstück von Neil Hannons dreizehntem Album als The Divine Comedy, in dem er innehält, um die Genauigkeit der kostbaren Kindheitserinnerungen zu hinterfragen, an die er sich so lange geklammert hat. Wenn er über den krassen Kontrast des funkelnden, festlichen Londons nachdenkt, nachdem er aus dem Nordirland der Siebziger eingeflogen ist, fragt er sich: „War da Schnee? Ich weiß es nicht. Das ist alles mit Peter Pan vermischt.“ Eine andere Verwischung der Grenzen hat in den vergangenen fünfunddreißig Jahren manche Wahrnehmung seiner Arbeit sanft getrübt: komprimierte Erinnerungen, aufgebaut auf einem einzigen Schuppen und einer billigen Busfahrt, die ihn als reinen Comedian abstempeln. In Wirklichkeit haben seine verlässliche, wenn auch nicht überstrapazierte Leichtigkeit und seine kokette Fähigkeit, eine Formulierung zu drehen, zu kraftvollen, einhüllenden, kaleidoskopischen Durchfahrten durch die Popgeschichte geführt, die Bereiche erreichen, die wenige Songwriter so beständig erreichen können.

      Nachdem er den wunderbaren Soundtrack zu Chalamets Darstellung als Wonka (2023) verantwortet hat und sechs Jahre nach seinem vorherigen Studioalbum, finden wir Hannon in nachdenklicher Verfassung, der sich dazu entschließt, die emotionalere, atmosphärische Seite seines Songwritings zu betonen. Als besonders geschickter Gestalter der Trackfolge hat er einen überzeugenden Weg durch diese elf Songs gelegt, der mit der Lead-Single „Achilles“ beginnt. Inspiriert von Patrick Shaw-Stewarts Gedicht von 1915 „Achilles In The Trench“ trifft es die Beklommenheit eines Soldaten, der sich auf den Einsatz vorbereitet, und kanalisiert sie in eine musikalische Darstellung der zur Schau gestellten Tapferkeit. Es signalisiert schnell, dass die Arrangements opulent, weitläufig und berührend sein werden, auf einem im Studio 3 der Abbey Road aufgenommenen Album. „I Want You“ hat die Größe und den Umfang einiger der gewaltigsten Momente von 1997s „A Short Album About Love“ und bewegt sich langsam und beunruhigend auf sein Ende zu.

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      Das Titelstück und „Mar-A-Lago By The Sea“ sind die beiden Songs, die zu einem hochgezogenen Augenbrauenmoment anregen, doch selbst sie gehen tief. Ersteres reflektiert einen Lockdown-Streit, der treffend das schnelle Nachlassen des Adrenalins einfängt, wenn man erkennt, dass das pompöse Getöse des Arguments fehl am Platz war und man es die ganze Zeit selbst verursacht hat, und klingt in einen zärtlichen, wehmütigen Moment der Erkenntnis aus. Letzteres ist ein geschickt ausgeführter Seitenhieb auf einen Ort, der ein passendes Mikrokosmos für seinen Besitzer zu sein scheint, und folgt auf eine geradezu phantastische Kritik am Abstieg jener Nation in den Populismus in „Down The Rabbit Hole“.

      „The Last Time I Saw The Old Man“ ist, genau wie zu erwarten, eine Betrachtung des Verlusts eines Elternteils, verfasst nach einer Zeit an des Vaters altem Klavier. Jegliches Risiko übermäßiger Sentimentalität wird sofort von „The Man Who Turned Into A Chair“ unterlaufen, inspiriert durch eine beiläufige Beleidigung, die Hannon von seiner Frau entgegengeschleudert wurde. Dieses tonale Auf und Ab wird bis zu den letzten drei Liedern, die alle auf unterschiedliche Weise still verheerend sind, durchgehalten. „The Heart Is A Lonely Hunter“ bietet eine Weitaufnahme der Suche nach Liebe im Laufe eines Lebens und wie viel Schmerz unsere Jagd nach Glück begleitet. Es klingt wie die perfekte Brücke zwischen den melancholischen Texturen von 2001s „Regeneration“ und der neu aufgelegten Orchestrierung seines Nachfolgers „Absent Friends“. Darauf folgt ein kurzes, klagendes Instrumentalstück, „Can’t Let Go“, in dem Hannon langsam über die Tasten gleitet und ein resonantes, hymnales Stück Achtsamkeit vor dem majestätischen Schluss des Albums herausarbeitet.

      „Invisible Thread“ erforscht die komplizierten Gefühle eines Kindes, das das Elternhaus verlässt, und jongliert zwischen dem Gefühl einer Art Trauer und dem hellen Funkeln der Möglichkeiten. Die Andeutung eines Schmerzes in einer ansonsten optimistischen Stimme, gepaart mit dem üppigen Refrainarrangement, begeisterte Clash bereits lange bevor Hannons eigene Tochter Willow als Backgroundsängerin mitwirkte. Als Verkörperung dessen, wie selbst die glücklichen Momente des Lebens einen Hauch von Ferne voller Traurigkeit behalten, ist es bemerkenswert und ein wirklich wunderschöner Track, auf dem man schließen kann.

      Wie das Beste von Hannons Werk enthalten diese Songs viele subtile Texturen und filigrane Verzierungen, die sich erst offenbaren, nachdem ihre melodischen Reize gegriffen haben. Es ist eines der besten Alben von The Divine Comedy und schöpft aus vielen der kraftvollsten Elemente seiner musikalischen Instinkte, um einem willkommenen emotionalen Schwelgen Raum zu geben.

      9/10

      Worte: Gareth James

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