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The Beatles – Anthologie 4

The Beatles – Anthologie 4

      An welchem Punkt werden wir den Höhepunkt der Beatles erreichen? Die Fab Four sind größer denn je, und Peter Jacksons (zugegebenermaßen exzellenter) Get Back entfacht eine neue Welle der Manie. Vier – zählt sie! – Biopics sind in Arbeit, was gleichzeitig ein paar weitere Bücherregale voller Beatles-Mythen bei Verlagen nach sich zieht. Da Fans Dokumentationen wie Beatles ’64 in Ruhe durchforsten können, kann der Sättigungspunkt wohl kaum mehr fern sein. Inmitten einer überfüllten Landschaft könnte die Allgegenwart der Beatles so enden, wie sie begann – mit Anthology.

      Wie dieses Stück in Clash so treffend darlegt, brachte Anthology – ein TV-Blockbuster, ein Buch und drei Album-Veröffentlichungen – die Beatles zurück an die Spitze des Pop-Pantheons. Das heißt jedoch, die Alben selbst – so erstaunlich beliebt sie auch waren – brachten nicht viele echte Enthüllungen. Die Gewohnheit der Band, ihre Studiozeit kurz zu halten, und ihr bewusstes Vorgehen bedeuteten, dass Takes – sofern man sie so nennen wollte – selten voneinander abwichen. Aufblitzende Offenbarungen gab es, aber ehrlich gesagt wirkten die Bände 2 und 3 wie nachlassende Erträge.

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      Anthology 4 ist der Schlusspunkt dieser Durchforstung der Archive. Nun erschienen, ist es eine zweistündige, 36 Tracks umfassende Geschenkbox, die mit ‚I Saw Her Standing There‘ – Track Eins, Seite Eins ihres Debütalbums – beginnt und mit ‚Now And Then‘ endet, der letzten – wirklich letzten – Single der Band.

      Für eingefleischte Fans ist das ein unverzichtbares Hörerlebnis. Ja, es gibt bereits drei Teile, und ja, eine Reihe von Neuauflagen – wie das definitive White Album mit den Escher-Demos in voller Länge – bedeutet, dass der Fundus etwas ausgedünnter ist als zuvor. Dennoch wirken die 36 Tracks nicht wie verschwendetes Material – selbst im Unauffälligsten blitzen hier Momente des Beatles-Genies auf.

      Vielleicht ist die stärkste Empfehlung das Durchbrechen der vierten Wand. Plötzlich sitzt man im Studio, und jene stark mythisierten Kerntexte verwandeln sich vom Stein in etwas Flüssigeres. George Harrisons Snack-Bestellung bei ‚While My Guitar Gently Weeps‘ – ein Käse-, Salat- und Marmite-Sandwich, dazu Kaffee – ist unendlich charmant, während Ringos freudige Anmoderation von ‚Octopus’s Garden‘ einem unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

      Es gibt auch Stellen, an denen das Abtragen der Schichten eines Songs verborgene Aspekte zutage treten lässt. Die keuchenden, hingebungsvoll lysergischen Streicher bei ‚I Am The Walrus‘ zeigen zum Beispiel das Spektrum, das dieser Song enthält; die hypnotische Take 26 von ‚Strawberry Fields Together‘ ist ein von LSD durchtränktes Blechbläsererlebnis; und ein ausgelassenes ‚Hey Bulldog‘ wirft ein Licht auf einen der eher vernachlässigten Rocker der Band.

      Tatsächlich scheut Anthology 4 nicht vor dem Rock‑’n’‑Roll‑Geist der Band zurück. Eröffnet mit einem pulsierenden ‚I Saw Her Standing There‘ gehören zu den weiteren Höhepunkten ein halsbrecherisches ‚Matchbox‘ – naturgemäß mit Ringo am Gesang – und die ursprüngliche, rockabilly-angehauchte Arrangierung von ‚I’ve Just Seen A Face‘.

      Fehlen wirklich aufschlussreiche alternative Takes, so macht Anthology 4 dies dadurch wett, dass es die Beatles als Menschen und als Studiomusiker beleuchtet. Die Ad‑libs sind oft urkomisch, der schrullige Humor ihrer ersten Ausflüge in die Abbey Road zeigt eine unglaubliche Unschuld. Dann gibt es aber auch Johns ernsthafte Proben zu ‚Julia‘ – so zerbrechlich und so offen – oder die Marihuanabestellung, die einem hektischen, kaum zusammenhaltenden ‚Baby, You’re A Rich Man‘ vorausgeht.

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      Für Detailverliebte gibt es hier viel zu wälzen – der Elvis‑Cover ‚(You’re So Square) Baby I Don’t Care‘ weist auf Paul McCartneys Sehnsucht nach einer (verlassenen) Rock‑’n’‑Roll‑Platte ähnlich der Hamburger Tage hin, und ‚Can You Take Me Back?‘ wurde aus seiner Rolle als Coda von ‚Cry Baby Cry‘ herausgelöst. Zwischen dem Geektum liegt jedoch das Erzählen – es endet mit einigen zu Recht neu abgemischten Takes von ‚Free As A Bird‘ und ‚Real Love‘, bevor ‚Now And Then‘ den Schlusspunkt dieses dreißigjährigen Archivunterfangens setzte.

      Letztlich können wir die in Anthology 4 innewohnenden Mängel nicht ignorieren, während wir die Beatles gleichzeitig zutiefst verehren. Im Vergleich zu etwa Bob Dylans Bootleg Series weist dies nicht Wege auf, die nicht beschritten wurden, oder Ideen, die nicht vollendet wurden. Stattdessen bietet es eine gemessenere, nuanciertere Darstellung der Beatles als Menschen – stellenweise freudig; jede Erinnerung an das Genie der Fab Four wird stets geschätzt werden.

      8/10

      Text: Robin Murray

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